Zum Artikel in der EZ vom 21.07.2025: Grüne: Die Brandstifter der AfD greifen an
Von Stephan Köthe
Am 21.07.2025 erschien in der Esslinger Zeitung der Artikel Vertrauen in Behörden erschüttert: Wie sicher ist Esslingen?
Darin sagt Carmen Tittel (Bündnis 90/Die Grünen): Unterstellungen gegenüber den Behörden würden die Gesellschaft spalten und das Vertrauen in den Rechtsstaat untergraben. „Die Brandstifter der AfD greifen auf verschiedenen politischen Ebenen regelmäßig die Institutionen unseres Rechtsstaats an und versuchen, Zwietracht zu säen.“ Das sei inakzeptabel.
Dazu möchte ich Folgendes sagen:
Es ist ein grundlegendes Missverständnis, sachliche und faktenbasierte Kritik an strukturellen Defiziten im Behördenhandeln mit pauschalen Angriffen auf den Rechtsstaat gleichzusetzen.
Gerade in einem funktionierenden Rechtsstaat ist es unsere demokratische Pflicht, offen zu diskutieren, wo staatliche Strukturen versagen – vor allem dann, wenn dieses Versagen Menschenleben kostet. Wenn eine staatsanwaltschaftliche Prüfung keine individuelle Schuld feststellt, aber dennoch zwei Menschen sterben mussten, dann ist es legitim und notwendig zu fragen: Was läuft systemisch falsch?
Diese Diskussion zu unterdrücken und als Brandstiftung abzutun, verhindert die Aufarbeitung.
Ich stelle die Rechtsstaatlichkeit nicht in Frage – im Gegenteil: Ich setze mich für ihre Weiterentwicklung und Stärkung ein. Dazu gehört auch, unbequeme Fragen zu stellen, wenn das bestehende System versagt hat:
1) Wenn mehrfache Morddrohungen nicht Anlass genug sind, dass seitens der Behörde gehandelt wird und die Staatsanwaltschaft Heilbronn kein Behördenversagen feststellt, dann stellt sich die Frage, was müssen wir ändern, dass so etwas nicht wieder vor kommt? Was müssen wir tun, dass Lucas Tod nicht umsonst war? Ich setze mich dafür ein, dass wir nicht zur Tagesordnung übergehen, dass es ein „Lessons Learned“ gibt, dass Leben zukünftig besser geschützt wird.
2) Wenn das bloße Weiterleiten eines satirischen Posts, in dem Wirtschaftsminister Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) karikiert wird, ausreicht, um bei einem bislang unbescholtenen Bürger eine Hausdurchsuchung anzuordnen – inklusive der Beschlagnahmung von Mobiltelefonen, internetfähigen Geräten und digitalen Speichermedien – dann stellt sich eine grundlegende Frage: rechtfertigt die mögliche Ehrverletzung eines Politikers staatliche Zwangsmaßnahmen, während eine Morddrohung gegen einen Bürger ohne Konsequenzen bleibt? Diese offensichtliche Asymmetrie bei der Anwendung von Hausdurchsuchungen hat das Potential, unsere Gesellschaft im Kern zu erschüttern und ein Klima von Angst und Schrecken zu verbreiten – sowohl durch Untätigkeit im Schutz von Leben als auch durch Überreaktion im Schutz politischer Persönlichkeiten. Wollen wir wirklich in einem Staat leben, in dem der Schutz der Ehre eines Politikers höher gewichtet wird als der Schutz von Menschenleben?
Carmen Tittel steht mit der Gleichsetzung demokratischer Opposition mit „Brandstiftern“ in einer gefährlichen Tradition – jener der beiden totalitären Systeme auf deutschem Boden: dem Nationalsozialismus und der DDR. In beiden Fällen wurde Kritik an staatlichem Handeln nicht argumentativ entkräftet, sondern moralisch delegitimiert. Besonders erschütternd ist die Verwendung des Begriffs „Brandstifter“ im Zusammenhang mit einer Tragödie, bei der zwei Menschen getötet wurden – und deren Haus tatsächlich in Flammen stand. Wer in diesem Zusammenhang politische Gegner als „Brandstifter“ bezeichnet, offenbart nicht nur mangelndes historisches Verantwortungsbewusstsein, sondern auch eine erschreckende Unempfindlichkeit gegenüber dem Leid der Opfer und ihrer Angehörigen.
In einer Situation, die Anteilnahme, Aufklärung und Respekt erfordert, wird Sprache zur Waffe gegen Kritiker gemacht. Das ist nicht nur politisch fragwürdig – es ist menschlich enttäuschend.
Wer statt über Fehler im System zu sprechen, lieber die Kritiker zum Problem erklärt, zeigt, dass es nicht um Aufklärung oder Verantwortung geht, sondern um Machtsicherung. Demokratie lebt vom Streit in der Sache – nicht von der moralischen Abwertung derer, die unbequeme Fragen stellen.
Link zum ursprünglichen Artikel vom 16.07.2025: Schwachkopf -> Hausdurchsuchung! Morddrohung -> keine?! Warum das Ergebnis der Prüfung der Staatsanwaltschaft im Fall des getöteten Luca wütend macht!