Ein 5. Bürgermeister für Esslingen?!…wie sich Oberbürgermeister Klopfer mit einem Postenangebot einen geschmeidigen Gemeinderat organisiert!
Von Stephan Köthe
Seit Wochen tagt er hinter verschlossenen Türen, nicht der Gemeinderat, nicht der Ältestenrat, sondern ein bislang unbekanntes Gremium, welches sich nicht in unserer Geschäftsordnung findet: der Rat der 4 Bürgermeister: Matthias Klopfer (SPD), Ingo Rust (SPD), Yalcin Bayraktar (Grüne) und Hans-Georg Sigel (Freie Wähler) und der 4 Fraktionssprecher Tim Hauser (CDU), Carmen Titel (Grüne), Nicolas Fink (SPD), Dr. Annette Silberhorn-Hemminger (Freie Wähler): der 4+4-Rat (Arbeitstitel).
Gestern Abend, am 07.04.2025, nach der Sitzung des Gemeinderats, war die Zeit reif, die Beratungsergebnisse im Ältestenrat bekannt zu geben:
Esslingen bekommt ein 5. Dezernat – unter der Leitung eines 5. Bürgermeister!
Organisatorische Gründe werden angeführt, auch die Millionenzahlungen des Bundes (man rechnet mit 5-10 Millionen aus dem „Sondervermögen“, welches verwaltet werden will) – und kostenneutral soll er auch noch sein, der neue Bürgermeister.
Aber: noch nie war ein zusätzlicher Bürgermeister kostenneutral. Wir rechnen mittelfristig mit 500.000 Euro Mehrkosten pro Jahr. Wenn das „Sondervermögen“ ausgegeben ist, das unsere Kinder zurückzahlen dürfen – bleibt der 5. Bürgermeister – und selbst wenn er weg wäre, dürfen unsere Kinder für seine Pension arbeiten. Nie hat sich eine Generation so unverantwortlich gegenüber ihren Kindern und Enkeln verhalten, wie wir es tun.
In einer Zeit, in welcher dem Bürger immer höhere Steuern und Abgaben abfordert werden – für eine immer schwächere Leistung der öffentlichen Hand – ist eine weitere Bürgermeisterstelle eine Unverfrorenheit. Es zeigt, wie die Politik den Bezug zur Lebenswirklichkeit der Bürger verloren hat – und wie sie sich ihrer Sache sicher ist.
Wenn alle den Gürtel enger schnallen müssen, wäre es ein wichtiges Zeichen gewesen, dass die Stadtverwaltung mit gutem Beispiel voraus gegangen wäre. Richtig wäre gewesen, eine Effizienz-Offensive zu starten, eine umfassende Überprüfung interner Abläufe durchzuführen und eine Zusammenlegung von Funktionen zu prüfen, alles mit dem Ziel, Kosten zu sparen und gleichzeitig einen bürgerfreundlicheren Service anzubieten.
Das passiert nicht, weil es nicht auf der Agenda der Akteure steht. Es geht den 4 Fraktionen um die Aufteilung der Bürgermeisterposten für die nächsten 12(!) Jahre, es geht den 3 Bürgermeistern um die persönliche Absicherung, es geht dem Oberbürgermeister darum, den Gemeinderat für seine Pläne zur Bücherei und weiteren Projekte gefügig zu machen.
Das sind die bestechenden Argumente für den 5. Bürgermeisterposten:
– die CDU, die größte Fraktion und einer der Wahlgewinner, bekommt bereits jetzt einen Bürgermeister (Laufzeit: 8 Jahre, bis 2033). Den hätte sie frühestens am Ende der Amtszeit eines amtierenden Bürgermeisters bekommen (in 2028). Denn nach einem ungeschriebenen Gesetz, werden die Bürgermeister von den größten Fraktionen bestellt (eine fragliche Praxis; entscheidend sollte die Eignung sein, nicht das Parteibuch).
– die Grünen, Wahlverlierer, sichern sich Bürgermeister Yalcin Bayraktar bis 2035.
– die SPD, der größte Wahlverlierer, sichert sich auf Dauer 2 SPD-Bürgermeister, Matthias Klopfer und Ingo Rust, letzteren bis 2037.
– die Freien Wähler, Wahlverlierer, sichern sich Bürgermeister Hans-Georg Sigel bis 2037.
-> Egal, wie Du bei der Kommunalwahl 2029 wählst: die 4 großen Fraktionen stellen die 4 Bürgermeister bis 2035.
Schlimmer noch, als das Postengeschachere auf Kosten der Bürger, werden die Auswirkungen der kommunalpolitischen Entscheidungen der nächsten Monate und Jahre sein!
OB Klopfer kauft sich mit dieser Aktion die CDU, welche bereits in den letzten Sitzungen auffällig handzahm war. Damit gibt es eine Mehrheit für die Büchereipläne des Oberbürgermeisters. Die letzte große Einzelhandelsfläche in der östlichen Fußgängerzone wird zur Bücherei umgebaut. Eine fatale Fehlentscheidung! Der Einzelhandel verliert die letzte Option für einen Kaufkunden-Magneten!
Die Rechnung bezahlt der Bürger: die Immobilien der Familie Kögel, die spätestens nach dem Bekanntwerden des Gutachtens unverkäuflich sind, übernimmt und renoviert der Bürger.
Der Gemeinderat hat sich neu sortiert: es gibt die 4 großen Fraktionen: CDU, Grüne, SPD, Freie Wähler, welche sich entschlossen haben, die Verwaltungsspitze untereinander aufzuteilen und alle wesentlichen Entscheidung miteinander vorab zu besprechen – und es gibt die Zuschauer: FDP/Volt, Die Linke/FÜR Esslingen, AfD und WIR/Sportplätze erhalten.
Für die wäre es konsequent, sich gleich in den Zuschauerbereich zu setzen – was auf der Bühne läuft, ist ganz großes Kino – darauf Einfluss nehmen können sie nicht!
Auf der Strecke bleibt der Bürgerwille, der den Konsens teuer bezahlen muss: mehr Bürgermeister, mehr Verwaltungskosten und kommunalpolitische Entscheidungen, die anders ausgefallen wären, wenn allein das Beste der Stadt im Vordergrund gestanden hätte.
Mit der Entscheidung für den 5. Bürgermeister ist klar: es geht den 4 Großen um den Machterhalt – nicht um die Stadt.
Immerhin: wir durften am 07.04.2025 im Ältestenrat der Verkündung beiwohnen und die Ergebnisse zur Kenntnis nehmen.
Dass wir danach den Raum verlassen mussten, damit der 4+4-Rat weiter tagen konnte, verwundert nicht, überraschend ist nur, mit welcher Selbstsicherheit und Unverfrorenheit vorgegangen wird. Der 4+4-Rat ist sich seiner Sache sicher.
Was CDU/SPD und Grüne auf Bundesebene vormachen, Pfründesicherung auf Kosten der Bürger, das gibt es jetzt auch in Esslingen:
Küngeln, kögeln, klopfern – im Großen, wie im Kleinen.
Politikverdroßenheit bei den Bürgern und Rücktrittsphantasien bei den zu Statisten degradierten Stadträten können in Anbetracht dieser Zustände niemanden verwundern.
Die AfD-Fraktion setzt sich für die Einbringung eines Bürgerbegehrens ein, welches die Änderung der Hauptsatzung § 12 Absatz 1 (von 4 auf 5 Dezernate) verhindert/rückgängig macht. Mit einem weiteren Bürgerbegehren, könnte man die Bürgerschaft zu den Büchereiplänen befragen.
Vielleicht kann die direkte Demokratie richten, zu was Politiker offensichtlich nicht willens sind?
Nutzen wir unsere Stimme, solange wir sie haben.
P.S.: Heute ist wieder einer der Tage, an denen sich OB Klopfer freut, dass die AfD nicht in der Zwiebel schreiben darf. Die anderen 4 großen Fraktionen freuen sich auch. Und Bechtle freut sich über die zukünftige Beauftragung – das darf dann auch seinen Preis haben – der 4+4-Rat wird liefern. So wäscht eine Hand die Andere – der Bürger bezahlt es – und wird einseitig informiert. Mehr kann man nicht rausholen, aus dem Bürger!
P.P.S.: Chefredakteur Johannes M. Fischer hat in einem Kommentar am 25. Juli 2024 die Blockbildung gefordert: bitte schön, wie bestellt, so geliefert. Wie kritisch wird wohl die Berichterstattung der Esslinger Zeitung (auch Bechtle) zu diesem Thema in den nächsten Tagen ausfallen?
Update vom 09.04.2025: Die EZ (Johannes M. Fischer) berichtet erwartungsgemäß, immerhin kommen auch zwei der „Zuschauer-Fraktionen“ zu Wort, FDP und Linke/FÜR Esslingen – AfD und WIR/Sportplätze hingegen fehlen. Die Außenkommunikation ist wichtig, damit der 4+4-Rat machen kann, was er will.
Update vom 10.04.2025: Offene Stellungnahme der FDP/Volt-Fraktion:
Eine effektive Ausübung des gemeinderätlichen Mandats setzt voraus, dass alle Stadträte rechtzeitig und umfassend informiert werden (§ 43 Abs. 5 GemO). Diese Unterrichtungspflicht stellt sicher, dass der Gemeinderat früh Einfluss nehmen kann. Zudem sehen die Minderheitenrechte der GemO BW vor, dass mindestens ein Sechstel der Gemeinderäte oder eine Fraktion Auskünfte verlangen oder sogar eine Gemeinderatssitzung zu einem bestimmten Thema erzwingen können (§ 24 Abs. 3 GemO, § 34 Abs. 1 GemO) . Die nicht einbezogenen Ratsmitglieder wurden in Sachen „Schaffung einer neuen Dezernetenstelle“ vor vollendete Tatsachen gestellt, ohne dass sie vorab von der Planung wussten – sie konnten insofern ihre Beteiligungsrechte faktisch nicht wahrnehmen. Dies stellt eine Beeinträchtigung ihres Mitberatungs- und Informationsrechts dar.
Das Vorgehen ist auch am Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und am Transparenzgebot zu messen. Auf kommunaler Ebene wird die demokratische Legitimation durch den gewählten Gemeinderat ausgeübt (Art. 28 Abs. 2 GG). Wesentliche Entscheidungen sollen in öffentlicher, transparenter Debatte des Gemeinderats erfolgen, damit sowohl alle gewählten Vertreter daran teilhaben können als auch die Öffentlichkeit Kontrollmöglichkeiten hat. Die Gemeindeordnung konkretisiert das Demokratieprinzip durch das Öffentlichkeitsgebot in § 35 Abs. 1 GemO: „Die Sitzungen des Gemeinderats sind öffentlich.“ Nur ausnahmsweise darf nichtöffentlich verhandelt werden . Bei der Schaffung einer neuen Dezernentenstelle wurde jedoch die grundlegende Weichenstellung außerhalb einer offiziellen, öffentlichen Sitzung vorab ausgetüftelt. Dadurch wurden Transparenz und öffentliche Debatte umgangen. Zwar soll der formelle Beschluss später öffentlich gefasst werden, doch wenn die Mehrheitsentscheidung bereits im Hinterzimmer fiel, ist die öffentliche Sitzung letztlich nur noch Formsache. Dies unterläuft den Sinn des Öffentlichkeitsgrundsatzes, der eine offene Willensbildung im Gemeinderat gewährleisten soll.
Auch im Inneren des Gemeinderats verlangt das Demokratieprinzip, dass alle Ratsmitglieder gleichberechtigt behandelt werden und an der Meinungsbildung teilhaben können. Geheime Absprachen zwischen Oberbürgermeister und bestimmten Fraktionen, von denen andere ausgeschlossen sind, verletzen dieses Prinzip der Gleichbehandlung der Mandatsträger. Es entsteht der Eindruck einer „Kungelei“ (Vetternwirtschaft) zum Vorteil einiger weniger, was mit dem Fairnessgebot und dem demokratischen Mehrheitsprinzip unter Wahrung der Minderheitenrechte nicht vereinbar ist. Alle Mitglieder des Gemeinderats haben ein Recht darauf, vor der Entscheidung gehört zu werden und ihre Argumente in die Waagschale zu werfen, selbst wenn am Ende die Mehrheitsfraktionen anders entscheiden. Die Entscheidung ist jedoch bereits gefallen. Das zeigt die Pressemitteilung der Stadt direkt am nächsten Tag und die sehr knapp bemessene Beratungsplanung.
Grundsätzlich sind Absprachen und Koalitionsbildungsprozesse unter Fraktionen ein üblicher Teil der politischen Willensbildung. Politische Absprachen sind solange rechtlich unbedenklich, wie der formelle Entscheidungsprozess den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Allerdings gibt es Grenzen, wo informelle Absprachen in eine rechtswidrige Umgehung gemeinderätlicher Verfahren umschlagen können. Wenn z.B. ein Quorum an Ratsmitgliedern faktisch außerhalb jeder Öffentlichkeit tagt und Beschlüsse vorwegnimmt, könnte dies als „vorweggenommene Gemeinderatssitzung“ ohne gesetzliche Form angesehen werden. In diesem Fall hat der Oberbürgermeister selbst in kleinem Kreis einen Personal- und Haushaltsvorschlag ausgehandelt – unter Ausschluss des restlichen Gremiums. Damit wurden die Pflicht als Vorsitzender des Gemeinderats (§ 43 Abs. 1 GemO) und Verwaltungsleiter, neutral den gesamten Rat einzubeziehen, verletzt. Insbesondere die Missachtung der Unterrichtungspflicht aus § 43 Abs. 5 GemO ist ein rechtlich relevantes Versäumnis. Nach wie vor stehen die Unterlagen zur geplanten Aufteilung der Dezernate nur den Mitgliedern der vier großen Fraktionen zur Verfügung.
Fazit: Die Einführung eines fünften Bürgermeisters in Esslingen, ausgehandelt im kleinen Kreis, ist aus rechtlicher Sicht höchst problematisch. Es spricht vieles dafür, dass das Vorgehen das Beteiligungsrecht der übrigen Stadträte verletzt. Eine politische Vorabstimmung ist zwar nicht per se unzulässig, doch hier wurde die Grenze zum Hinterzimmer-Deal überschritten. Damit liegt eine Umgehung gemeinderätlicher Prozesse vor, die mit § 43 Abs. 5 GemO (Informationspflicht), dem Öffentlichkeitsgrundsatz (§ 35 GemO) und dem Demokratieprinzip nicht in Einklang steht. Der Gemeinderat als Ganzes – und damit letztlich die Bürgerschaft – wurde durch das intransparente Vorgehen de facto ausgebootet. Entweder muss nun im offenen Diskurs nachträglich umfassend diskutiert werden, oder die Legitimität des Beschlusses bleibt zweifelhaft.
Wir raten daher dringend, den Beratungsprozess nicht in einer Hau-Ruck-Aktion durchzuführen. Die geplante Zeitachse mit Besetzung des neuen Dezernats bereits zum 27. Juli untergräbt eine umfassende Auseinandersetzung im Gemeinderat.
Wir bitten die Stadtverwaltung noch einmal um Beantwortung der Frage, ob Anwalts- und Prozesskosten für Fraktionen und Stadträte im Organstreit von der Stadt getragen werden. Außerdem bitten wir um unverzügliche Übersendung der Unterlagen zur Dezernatsaufteilung.
Mit freundlichen Grüßen
Rena Farquhar
Update vom 14.04.2025: Ludwigsburger Oberbürgermeister Knecht plant die Anzahl der Dezernate von 4 auf 3 zu reduzieren!
„Während die Stadt Esslingen derzeit eine fünfte Bürgermeister-Stelle plant, will Knecht Ende Juli den Gemeinderat darüber abstimmen lassen, die Zahl der Dezernate von vier auf drei zu reduzieren. Anbieten würde sich nach Auslaufen der Amtszeiten 2028/29 die Zusammenlegung der technischen Dezernate. Damit würden eine Bürgermeister-Stelle und sieben von 25 Fachbereichen und Stäben wegfallen. Die Einsparungen daraus: circa eine Million Euro!“
Quelle: Oberbürgermeister Knecht erwägt, Stadtspitze zu verkleinern
Anzahl Einwohner Ludwigsburg: 92.952 (Stand 31.12.2023) – Anzahl Bürgermeister 4 -> 3
Anzahl Einwohner Esslingen: 96.470 (Stand 31.12.2023) – Anzahl Bürgermeister 4 -> 5?