Bürgerbegehren unter Druck: wie die Stadtverwaltung versucht, die Unterschriftensammlung einzuschränken
Von Stephan Köthe
Update vom 28.07.2025 16:00 Uhr: Artikel der Esslinger Zeitung: Bürgerbegehren wehrt sich gegen Einschränkungen durch die Stadt.
Update vom 28.07.2025 18:00 Uhr: Artikel der Esslinger Zeitung: Bürgerbegehren: Demokratie lebt nicht von Fensterreden.
Update vom 30.07.2025: Artikel der Esslinger Zeitung: Der Streit um das Bürgerbegehren erreicht den Ratssaal.
Update vom 30.07.2025: Anfrage an die Stadtverwaltung bezüglich des Schreibens der Stadt Esslingen an die Initiatoren des Bürgerbegehrens vom 24.07.2025.


Quelle: https://www.instagram.com/p/DMeyvEosy46/?igsh=azZ1NWtnMXNkbWF3&img_index=1
- Was ist der Anlass? Gab es Beschwerden aus der Bürgerschaft – oder haben die Grünen, SPD, Freien Wähler oder der Oberbürgermeister selbst interveniert? Das Schreiben wirft viele Fragen auf, nicht nur inhaltlich, sondern auch hinsichtlich des Demokratieverständnisses in unserer Stadtverwaltung.
- „Die Ansprache von Passanten ohne einen Informationsstand und die Verteilung von Flyern hält die Stadtverwaltung für kritisch.“ – Ob die Verwaltung etwas „kritisch“ findet, ist in einer freiheitlichen Demokratie zweitrangig. Entscheidend ist: Ist es legal? Und ja, es ist legal. Das Grundgesetz schützt die Meinungsfreiheit in Wort, Schrift und Bild – ausdrücklich auch im öffentlichen Raum. Ebenso ist das Sammeln von Unterschriften für ein Bürgerbegehren durch Artikel 21 und 28 GG sowie das jeweilige Kommunalrecht gedeckt.
- „Unsere Erfahrung ist, dass sich Passanten bedrängt fühlen, wenn auf sie zugegangen wird…“ – Welche „Erfahrung“ ist hier gemeint? Es ist kaum vorstellbar, dass die Stadtverwaltung eigene Erfahrung damit hat, Menschen auf der Straße aktiv anzusprechen. Eine subjektive Wahrnehmung ersetzt keine rechtliche Beurteilung. Es entsteht der Eindruck, dass hier mit vorgeschobenen Argumenten gearbeitet wird.
- „…die Ansprache von Passanten von einem Informationsstand aus, wirkt weniger als ein „Überfall“ auf die Personen…“ – Diese Wortwahl ist bemerkenswert: Ein demokratisches Grundrecht – die direkte Bürgeransprache – wird hier unterschwellig kriminalisiert. Eine sachlich neutrale Behörde sollte sich solcher Formulierungen enthalten.
- „Eine Verteilung von Flyern ohne ein kleines Präsent wird im Bereich der Fußgängerzonen wird grundsätzlich nicht zugelassen.“ – Diese Regelung ist rechtlich höchst fragwürdig. Eine Einschränkung der Grundrechte (auch auf kommunaler Ebene) bedarf eines legitimen, verhältnismäßigen und gesetzlich fundierten Zwecks. Es ist kaum vorstellbar, dass ein Gericht diese Unterscheidung – mit oder ohne „Präsent“ – bestätigen würde.
Zusammenfassend: Das Schreiben der Stadtverwaltung wirkt wie der Versuch, das Bürgerbegehren zum Umzug der Stadtbücherei in den Kögel zu behindern. Dabei sollte die Verwaltung neutral agieren und nicht als politischer Akteur auftreten. Stattdessen entsteht der Eindruck, dass in rechtlich fragwürdiger Art und Weise und unter dem Deckmantel der „Ordnung“ die Möglichkeiten zur Unterschriftensammlung eingeschränkt werden sollen.
So sehr OB Klopfer und mit ihm SPD, Grüne und Freie Wähler ihr 20-Millionen-Euro-Projekt durchsetzen möchten – sie dürfen das nicht auf Kosten demokratischer Grundrechte tun.
Denn genau dafür gibt es ein Bürgerbegehren: Damit die Bürgerinnen und Bürger selbst entscheiden können.
Hier gibt es alle Infos zum Bürgerbegehren und wie Du Dich beteiligen kannst: Bürgerentscheid zum Umzug der Stadtbücherei in den Kögel – Unterschreibe jetzt das Bürgerbegehren!
Update vom 28.07.2025 16:00 Uhr: Artikel der Esslinger Zeitung: Bürgerbegehren wehrt sich gegen Einschränkungen durch die Stadt. Aus dem Artikel: „Für mich als Juristin ist dieses Vorgehen unerträglich. Ein Bürgerbegehren ist ein Akt direkter Demokratie“, erklärt Rena Farquhar, die sich mit einem Professor für Verwaltungsrecht beraten hat: „Er hat nur mit Kopfschütteln reagiert.“ Ähnlich erging es Hermann Beck und Martin Auerbach, die sich wundern: „Eigentlich müsste die Stadt an einer möglichst großen Beteiligung interessiert sein, weil ein Thema, das so viele Menschen seit so vielen Jahren beschäftigt, auf einer möglichst breiten Basis entschieden werden sollte.“
Update vom 28.07.2025 18:00 Uhr: Artikel der Esslinger Zeitung: Bürgerbegehren: Demokratie lebt nicht von Fensterreden. Aus dem Artikel: „Dass das Referendum damals aus den Reihen der SPD initiiert worden war, konnte für einen sozialdemokratischen OB sowenig ein Argument gewesen sein, wie es heute eine Rolle spielen darf, dass die SPD einen neuerlichen Bürgerentscheid kritisch sieht. Es ist ein Leichtes, bei Schwörtagen und Großkundgebungen in wohlfeilen Reden kommunale Demokratie und Bürgerbeteiligung hochleben zu lassen. Viel schwieriger ist es, diesem Anspruch im Alltag gerecht zu werden. Vor allem dann, wenn man selbst anderer Meinung ist. Gerade weil OB Klopfer gern erklärt, dass es für die Bücherei „eine gute und eine sehr gute Lösung“ gebe und weil die Ratsentscheidung derart knapp war und nur durch den umstrittenen Abstimmungsverzicht eines Ratsherrn zustande kam, bietet ein Bürgerentscheid die Chance, eine knappe Entscheidung breiter zu legitimieren. Willy Brandt hat einst dafür geworben, mehr Demokratie zu wagen. Solche hehren Worte wollen nicht nur bei unverbindlichen Gelegenheiten zitiert, sondern im kommunalpolitischen Alltag gelebt werden. Auch in Esslingen.“ Alexander Maier.
Update vom 30.07.2025: Artikel der Esslinger Zeitung: Der Streit um das Bürgerbegehren erreicht den Ratssaal. Ordnungsbürgermeister Yalcin Bayraktar: Schreiben wie dieses seien jedoch „ein normaler Verwaltungsakt“ der Amtsleiterin. Die Argumentation konnte der Bürger nicht teilen: „Wenn dem so wäre, müsste es eine formelle Rechtsbehelfsbelehrung geben.“
Landesvorstandsmitglied Edgar Wunder vom Verein Mehr Demokratie: „Ein Schreiben dieses Inhalts habe ich bei meiner 20-jährigen Beschäftigung mit Bürgerbegehren noch nie erlebt, es dürfte einmalig sein. Informationsstände im öffentlichen Raum unterliegen einer Genehmigungspflicht. Spricht jedoch eine Person A eine Person B auf einer öffentlichen Straße an, um sie um irgendetwas zu bitten (zum Beispiel eine Unterschrift für ein Bürgerbegehren), so unterliegt dies keiner Gezeige- oder Anzeigepflicht. Solches zu behaupten, ist ohne Rechtsgrundlage. In dem Schreiben wird eine Rechtsgrundlage weder benannt noch überhaupt versucht, eine solche irgendwie abzuleiten.“