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Warum wir gegen das Stadtticket sind

Von Stephan Köthe

In der heutigen Sitzung des Verwaltungsausschuss wurde unter TOP 2 die Wiedereinführung des Stadttickets beschlossen. Endgültig beschließen wird dies der Gemeinderat auf seiner Sitzung am 16.12.2024.

Vorbehaltlich der Entscheidung des Gemeinderats wird es ab 01.09.2025 ein Stadtticket geben, welches zum Preis von 3,80 Euro die ganztägige Fahrt in Bus und Bahn im Stadtgebiet Esslingen ermöglicht. Das Stadtticket wird aus dem Stadthaushalt bezahlt und kostet den Bürger jährlich 760.000 Euro.

9 Gründe, warum wir gegen das Stadtticket sind:

1) Wir sind gegen ein stark vergünstigtes Stadtticket, weil es jährlich Kosten in Höhe von 760.000 Euro verursacht – Geld das wir nicht übrig haben, sondern aus den Rücklagen nehmen müssen – solange wir noch Rücklagen haben. Nachfolgende Übersicht wurde heute unter TOP 10 vorgestellt:
Die Zeile „Stand nach Steuerschätzung und Orientierungsdaten“ zeigt, dass der Haushalt in den nächsten Jahren rote Zahlen schreibt: insgesamt 58,1 Millionen Euro fehlen in den nächsten 4 Jahren. Die letzte Schätzung (Zeile NHH 2024/2025) sagte noch einen Fehlbetrag von 21,1 Millionen Euro voraus – innerhalb kurzer Zeit fehlen uns weitere 37 Millionen Euro!

Die gute Nachricht ist: wir haben noch 83,2 Millionen Euro Rücklagen.
Von diesen Rücklagen werden wir das Stadtticket bezahlen!
Wenn es so kommt, wie prognostiziert und über den Prognosezeitraum hinaus so bleibt (und nicht noch schlimmer wird) sind die Rücklagen in weniger als 6 Jahren vollständig verbraucht.
Wir halten es für keine gute Idee, dass unserer Bürger noch günstiger Bus- und Bahnfahren, wenn es dafür kein Geld gibt!

2) Die Kosten für das Stadtticket sind erheblich. 760.000 Euro sind zwar nur 0,2% des städtischen Gesamtetats, aber etwa 10% des Grundsteueraufkommen. Wenn die Rücklagen verbraucht sind, könnte die Grundsteuer um 10% steigen – allein wegen des Stadttickets!

3) Das Stadttickets ist unsozial. Das Stadtticket unterscheidet nicht zwischen reich und arm und begünstigt auch diejenigen, die sich ein weniger stark subventioniertes Stadtticket leisten könnten.

4) Für 6,40 Euro gibt es bereits heute ein Tagesticket, das mit circa 50% subventioniert ist. Derzeit ist es so, dass für jedes Stadtticket, für welches der Fahrgast 6,40 Euro bezahlt, der Steuerzahler circa 6 Euro dazu bezahlt. Zukünftig soll ein Tagesticket 3,80 Euro kosten – und der Steuerzahler bezahlt zu jedem Ticket circa 8 Euro dazu (circa 70% subventioniert!). Wir halten es für falsch, Steuergelder in einem so großen Umfang umzuverteilen.

5) Guter öffentlicher Nahverkehr ist sein Geld wert. Der Preis muss zur Leistung angemessen sein. Die Zuverlässigkeit muss weiter verbessert werden und ist dann auch seinen (immer noch zu 50% subventionierten) Preis wert.

6) Das Stadtticket könnte zu einer noch stärken Auslastung der Busse führen, die bereits jetzt schon in den Stoßzeiten am Limit sind.

7) In Anbetracht weiter sinkender Einnahmen müssen wir uns auf die gesetzlich notwendigen Aufgaben für unsere Stadt konzentrieren – das Stadtticket gehört nicht dazu.

8) Bei jeder Investition, welche wir als Gemeinde tätigen, müssen wir uns fragen, welche Wirkungen dadurch entfaltet werden. Das Geld, welches wir ins Stadtticket zahlen, wird verpuffen. Es ist einfach weg und generiert keinerlei nachhaltige Wirkung. Das Geld fehlt an anderer Stelle, wo wir gesetzlich verpflichtet sind oder freiwillig in unsere Zukunft investieren könnten.
Busfahren noch mehr subventionieren, als würde es kein Morgen geben?

9) Auch wenn es verlockend erscheint, in einem Wahljahr den Bürgern Geschenke zu machen, ist es so, dass die Bürger und Firmen unserer Stadt das Stadtticket mit ihren Steuern selbst bezahlen. Niemand bekommt hier etwas von der Stadt geschenkt – das Geld wird einfach nur umverteilt.

Zusammengefasst: Die AfD-Fraktion spricht sich gegen das Stadtticket aus, weil wir der Meinung sind, dass sich die Stadt auf ihre gesetzlichen Verpflichtungen konzentrieren muss und wo möglich, darüber hinaus freiwillig in Projekte investiert, die unsere Zukunft sichern.

Update vom 17.12.2024:
Die Rede, welche ich auf der Sitzung des Gemeinderats am 16.12.2024 gehalten habe:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Klopfer,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger,

ich mache da weiter, wo unsere Kollegin Rena Farquhar von der FDP/Volt gerade aufgehört hat.
Wir sprechen uns gegen das Stadtticket aus. Warum? Weil das Stadtticket keinen Sinn macht!

Wir haben 6 Gründe gegen das Stadtticket, jeder einzelne Grund ist ausreichend, das Stadtticket heute abzulehnen.

Der erster Grund gegen das Stadtticket: Es gibt keinen Handlungsbedarf: das Stadtticket gibt es heute schon! Hier ist es (in meiner Hand, für alle sichtbar hochgehalten).
Es heißt Einzeltagesticket.


Heute Mittag am Bahnhof Esslingen gekauft. Für 6 Euro 60 können Sie einen ganzen Tag lang Bus fahren, genauer gesagt 31 Stunden lang (da es bis 07:00 Uhr am nächsten Tag gültig) – das macht 21 Cent pro Stunde!
Im Sommer gekühlt, im Winter beheizt, den ganzen Tag mit kostenlosem W-LAN!
Ist das nicht 6,40 Euro wert?
Jetzt soll ein Stadtticket eingeführt werden, das 3,80 Euro kostet?!
Aber: wer für 6,40 Euro kein Tagesticket will, der kauft auch keines für 3,80 Euro. Für uns Stadträte gibt es hier keinen Handlungsbedarf.

Der zweiter Grund gegen das Stadtticket: Der öffentliche Nahverkehr wird bereits mit circa 50% vom Steuerzahler subventioniert. Zu jedem Einzeltagesticket das für 6,60 Euro gekauft wird, zahlt der Steuerzahler – das ist jeder hier im Raum – circa 6,00 Euro dazu.
Jetzt soll die Zuzahlung auf über 8 Euro pro Ticket erhöht werden, das ist eine aus unserer Sicht übertriebene und ungerechte Subventionierung von circa 70%.

Der dritter Grund gegen das Stadtticket: Das Stadtticket ist unsozial. Es macht keinen Sinn, Arme und Reiche gleichermaßen zu subventionieren. Wirklich Bedürftige werden damit nicht erreicht. Anders sähe es mit einem Sozialticket für unsere ärmsten Bürger aus [oder einem Familientagesticket], das könnte in der Tat sinnvoll sein.

Der vierter Grund gegen das Stadtticket: Es fehlt schlicht das Geld. Unter TOP 14 müssen wir heute zur Kenntnis nehmen, dass wir ab 2025 mit Millionenbeträgen ins Minus rutschen.
Die Prognose für die nächsten 4 Jahre wird um 36 Millionen nach unten korrigiert. Wir haben ein Defizit von sage und schreibe 58,1 Millionen in den nächsten 4 Jahren.
Und wir wollen heute das Stadtticket einführen? Wenn wir ein Stadtticket hätten, müssten wir es heute abschaffen.
Das Regierungspräsidium fordert von uns eine klare Priorisierung auf die städtischen Pflichtaufgaben. Das Stadtticket ist keine Pflichtaufgabe!
Wenn wir heute das Stadtticket einführen, wie stehen wir dann da, wenn wir es in wenigen Jahren wieder abschaffen müssen, weil uns das Regierungspräsidium dazu verpflichtet?
[Wir machen uns landesweit zum Gespött!]

Der fünfter Grund gegen das Stadtticket: wenn wir heute das Stadtticket einführen, dann fehlt uns das Geld für die wichtigen Dinge. Mit der Einführung des Stadtticket beschneiden wir Stadträte unseren eigenen, jetzt schon bescheidenen, Handlungsspielraum weiter!
Wenn wir investieren, dann doch bitte in die Dinge, die eines Tages Geld zurück in unsere Stadtkasse bringen.

Beispiele für wirklich wichtige Dinge:
In den Esslinger Schulen müssen in den nächsten Jahren 3000 iPads erneuert werden. [Dafür gibt es noch keine Finanzierung.]
Seit 2017 wird das Projekt „Pädagogik Plus“ an 7 Esslinger Ganztagsgrundschulen umgesetzt. Da geht es um Integration und Förderung von Schulkindern.
Ab 2026 läuft das Projekt nur noch an 2 der 7 Ganztagsgrundschulen weiter.

Wir sparen ernsthaft an Integration und Förderung von Schulkindern? Und fahren lieber noch günstiger Bus?
Ein anderes Beispiel:
Unsere Esslinger Wasserhandballer spielen in der Bundesliga – trainieren aber in Bad Cannstatt und demnächst vielleicht auch in Plochingen, weil wir uns in Esslingen kein Sporthallenbad leisten wollen?
Niemand tut mehr für die Integration als unsere Sportvereine. Jeder Euro in Sport bringt unsere Gesellschaft zusammen.
Es gibt so viel sinnvolle Dinge, in welche wir investieren sollten, als in das Stadtticket – das Geld für das Stadtticket ist weg – jedes Jahr 760.000 Euro –  und kommt nicht zurück!

Mein sechster Grund gegen das Stadtticket: Die Esslinger wollen mehrheitlich kein Stadtticket. Warum kann ich das so bestimmt sagen?

Um die Kosten für das Stadtticket zu decken, müssten wir die Grundsteuer um 10% erhöhen. Wenn wir heute unsere Bürger befragen, was sie von einer 10% Erhöhung der Grundsteuer halten, dann wäre die Antwort eindeutig, unabhängig davon, ob wir Mieter oder Vermieter befragen.
Die Grundsteuer bezahlen auch die Mieter.

Ich fasse zusammen:
wir haben bereits ein attraktives Stadtticket (es heißt Einzeltagesticket),
eine noch höhere Subventionierung ist ungerecht,
das Stadtticket ist unsozial, da es Arme und Reiche gleich begünstigt,
das Stadtticket kommt zur Unzeit, es fehlt schlicht das Geld, um das Stadtticket zu bezahlen,
wir sollten in unsere Zukunft investieren, in Kinder, Jugendliche und Sport,
und nicht zuletzt: die Bürger wollen mehrheitlich kein Stadtticket – nicht, wenn man ihnen sagt, was es sie kostet.

Ich beantrage die Vertagung des Tagesordnungspunktes. Wir sollten zuerst den heutigen TOP 14 zu Herzen nehmen. Unser Finanzbürgermeister Ingo Rust sollte Auskunft darüber geben, wie er die Finanzlage der nächsten Jahre einschätzt. Wir Stadträte sollten dann beraten, was wir in Anbetracht der Haushaltslage jetzt tun müssen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

Im Anschluss stellte Oberbürgermeister Klopfer zur Diskussion, ob TOP 14 (Finanzprognose 2024 – 2) vor die Abstimmung zu TOP 8 (Stadtticket) vorgezogen werden sollte, wenn die AfD-Fraktion den Antrag auf Vertagung zurückziehen würde.
Ich sagte zu, dass wir den Antrag auf Vertagung zurückziehen, wenn so verfahren wird, aber dass wir uns vorbehalten, den Antrag neu zustellen, wenn die Finanzlage nicht wesentlich besser ist. OB Klopfer reagierte daraufhin sichtlich genervt und zog sein Angebot für ein Vorziehen von TOP 14 zurück.
Unser Geschäftsordnungsantrag auf Vertagung wurde mit den Stimmen aller Fraktionen (außer AfD) abgelehnt. Der Gemeinderat entschied sich in der Abstimmung über das Stadtticket mit großer Mehrheit für die Einführung des Stadttickets – gegen die Stimmen der FDP/Volt und AfD.

Später stellte sich unter TOP 14 heraus, dass die Finanzlage neue Risiken in Höhe von 11-14 Millionen beinhaltet – und damit noch schlimmer ist, als wir es erwartet hatten.

Da offensichtlich genug Geld da ist, um es für ein sinnloses Stadtticket auszugeben (im Gegensatz zu einem möglicherweise sinnvollen Sozialticket oder Familientagesticket), sprechen wir uns für die Abschaffung des Stadttickets und für eine Absenkung der Grundsteuer um 10% aus. Lieber günstiger wohnen, als den öffentlichen Nahverkehr noch weiter zu subventionieren.

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