Widerspruch gegen den Gemeinderatsbeschluss vom 30.06.2025 – Drucksache SGE/343/2024 1. Ergänzung

Schreiben der AfD-Fraktion vom 31.07.2025:

An Herrn Oberbürgermeister
Matthias Klopfer
Rathausplatz 2
73728 Esslingen am Neckar

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Klopfer,

namens und im Auftrag der AfD-Fraktion im Gemeinderat der Stadt Esslingen am Neckar legen wir hiermit Widerspruch gegen den Beschluss des Gemeinderats vom 30.06.2025 zur Drucksache SGE/343/2024 1. Ergänzung ein.
Link zur Beschlussprotokollierung: https://ris.esslingen.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZbGAMsVq-Xf00hPot6dm_pfbxb9hXblCmpS6VlJPOc1P/Beschlusstext_SGE-343-2024_1._Ergaenzung_-oeffentlich-_Gemeinderat_30.06.2025.pdf

Begründung:

Der Beschluss kam unter Bedingungen zustande, die gegen wesentliche Grundsätze des Kommunalverfassungsrechts verstoßen:

  1. Verstoß gegen die Teilnahmepflicht (§ 34 Abs. 3 GemO BW):
    In ihrem Redebeitrag zur Zukunft der Bücherei auf der öffentlichen Sitzung des Gemeinderats vom 30.06.2025 erklärte Gemeinderätin Dr. Annette Silberhorn-Hemminger wörtlich:

„Ein letzter Satz noch und das zeigt vielleicht auch, was hier auch möglich ist, in diesem Gemeinderat. Es fehlen heute diverse Gemeinderäte, bei uns fehlen leider sogar zwei. […] Und wir haben einen Kollegen von der CDU – um hier nicht diese Abstimmung auf eine ganz ungute Ebene zu schieben, in dem es dann nämlich zu einem Patt kommen würde – danken wir der CDU. Die macht heute Pairing mit uns. […] Ich danke der CDU, der Kollege Mauz wird’s glaub ich sein, der dann eben nicht mit abstimmen wird […].“

Herr Gemeinderat Alexander Mauz verließ vor der Abstimmung – ebenfalls protokolliert – den Sitzungssaal. Auszug aus dem Protokoll:„- StR Mauz befindet sich zum Zeitpunkt der Abstimmung nicht im Sitzungssaal. –“.
Dieses Verhalten diente ersichtlich dem Ziel, die Abstimmung durch taktisch gesteuerte Abwesenheit zu beeinflussen. Das stellt einen bewussten Verstoß gegen die gesetzliche Pflicht zur Teilnahme an Sitzungen und damit eine Missachtung der demokratischen Verfahrensordnung dar.

  1. Unzulässige Mandatsabsprachen (§ 32 Abs. 3 GemO BW):
    Die freie und höchstpersönliche Ausübung des Ratsmandats wird durch Pairing-Absprachen – wie sie hier explizit vorgenommen und dokumentiert wurden – eingeschränkt. Anders als im Land- oder Bundestag ist die Bindung an das freie Mandat im kommunalen Bereich enger gefasst, wie auch Professor Dr. Prof. iur. habil. Volker Haug (Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg) öffentlich betont hat. Dort besteht nicht die gleiche politische Dispositionsfreiheit wie in Parlamenten, insbesondere wenn die Mehrheitssituation durch eine solche Absprache faktisch verändert wird.
  2. Verzerrung demokratischer Mehrheitsverhältnisse:
    Der Einsatz des Pairing-Verfahrens hat im konkreten Fall zu einer Verzerrung der realen Mehrheitsverhältnisse im Gremium geführt. Die tatsächliche Zusammensetzung wurde in der Abstimmung nicht abgebildet. Das ist mit dem Mehrheitsprinzip eines demokratisch verfassten Gremiums nicht vereinbar.
  3. Fehlzitat durch die Stadtverwaltung – Urteil des VG Darmstadt (Beschluss vom 27.05.2020 – 3 L 722/20.DA):
    In ihrer Antwort auf unsere Anfrage vom 04.07.2025 verweist die Stadtverwaltung auf das VG Darmstadt zur vermeintlichen Zulässigkeit von Pairing-Verfahren. Sie zitiert:

„Zwar ist das ‚pairing‘-Verfahren nicht ausdrücklich in den Kommunalgesetzen vorgesehen. Das Gericht sieht jedoch keine rechtlichen Bedenken, zumal das Verfahren auch im Bundestag und zahlreichen Landesparlamenten zur Anwendung kam bzw. noch immer kommt.“

Dieser Verweis ist irreführend und aus dem Kontext gerissen. Tatsächlich heißt es im vollständigen Beschluss:

„Beim ‚pairing‘ verständigen sich alle im Kreistag vertretenen Fraktionen darauf, nur eine begrenzte Personenanzahl in die Sitzung zu entsenden, wobei die proportionalen Mehrheitsverhältnisse gewahrt bleiben.“
Quelle: https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE200000872

Dieses Urteil betraf jedoch die pandemiebedingte Reduzierung der Anwesenden im Kreistag zum Infektionsschutz und nicht die gezielte Stimmenthaltung einzelner Ratsmitglieder zur taktischen Neutralisierung von Mehrheitsverhältnissen. Eine einvernehmliche Verständigung aller Fraktionen – wie sie dort als Voraussetzung benannt ist – liegt im Fall Esslingen eindeutig nicht vor. Die Stadtverwaltung stützt sich damit auf ein Urteil, dessen Voraussetzungen im konkreten Fall gerade nicht erfüllt sind.

Forderung:

Wir beantragen daher:

  • die rechtliche Überprüfung des Zustandekommens und der Gültigkeit des Beschlusses vom 30.06.2025 zur Drucksache SGE/343/2024 1. Ergänzung,
  • die Anrufung der Rechtsaufsichtsbehörde gemäß § 121 GemO BW zur Klärung der Zulässigkeit und rechtlichen Grenzen von Pairing-Vereinbarungen in Gemeinderatsgremien,
  • sowie die Wiederholung der Abstimmung, unter Ausschluss eines „Pairing“-Verfahrens, das nicht von allen Fraktionen getragen wird.

Im Falle der Ablehnung dieses Widerspruchs behalten wir uns ausdrücklich rechtliche Schritte vor.

Mit freundlichen Grüßen

Stephan Köthe, Alexander Anderka und Jürgen Häußler
Ihre Stadträte der AfD im Esslinger Gemeinderat

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