|

Haushaltsrede: Wie wir zum Doppelhaushalt 2026/2027 und zu den strittigen Anträgen stehen! In 2030 haben wir mehr als 500 Millionen Euro Schulden!

Von Stephan Köthe

Gehalten am 15.12.2025 auf der 13. Sitzung des Esslinger Gemeinderats im Bürgersaal im Alten Rathaus von Esslingen.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Klopfer,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger, schön, dass sie da sind. Der Doppelhaushalt ist das Wichtigste, worüber der Gemeinderat entscheidet,
besonders freue ich mich, dass meine liebe Mutter heute hier sein kann – Herzlich willkommen!

Zum Doppelhaushalt 2026/2027:

Unser Hauptkritikpunkt: die Planung ist unsolide! Die Gewerbesteuerannahme für 2026/2027 ist unrealistisch. Die Gewerbesteuereinnahmen werden tatsächlich um mehrere Millionen Euro geringer ausfallen als geplant. In weniger als 12 Monaten werden wir hier den ersten Nachtragshaushalt diskutieren.

Warum planen wir nur so falsch? Die Antwort darauf ist: weil wir in der Vergangenheit mit dieser Art der Planung gut gefahren sind. Unsere bisherige Stärke war, dass wir mit dem 10-Jahresdurchschnitt der Gewerbesteuer gerechnet haben. Wenn man auf 10-Jahres Sicht plant, kann man damit sehr gut kürzere konjunkturelle Ausschläge abfedern. Jetzt aber befinden wir uns bereits im 3. Jahr in einer Rezession! Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser warnte am letzten Freitag: diese Krise könnte noch weitere zehn Jahre andauern. Das ist keine konjunkturelle Delle, das ist ein struktureller Abstieg. Das ist die „Transformation“ von der CDU/SPD und Grüne seit Jahren sprechen. Tatsächlich ist es eine von der Politik verursachte Deindustrialisierung. Das Festhalten am 10-Jahresdurchschnitt für die Gewerbesteuer wird in dieser historisch tiefsten Krise seit Bestehen der Bundesrepublik zu einer ernsthaften Gefahr für die Zukunftsfähigkeit unserer Stadt. Was unsere Stärke war, wird jetzt zu unserer Schwäche. Der 10 Jahresdurchschnitt wiegt uns in einer falschen Sicherheit.

[Anmerkung: die Stadt Esslingen hat im Jahr 2025 75,60 Millionen Euro Gewerbesteuer eingenommen (das Diagramm zeigt eine frühere, höhere Schätzung). Für 2026 und 2027 rechnet die Stadt mit dem 10-Jahresdurchschnitt: 94 Millionen Euro!]


Das sind die Auswirkungen – in 3 Positionen:
1) Der Schuldenstand wird massiv ansteigen.
2) Wir treffen heute unvernünftige Entscheidungen.
3) Wir haben morgen keine Handlungsoptionen mehr.


1) Der Schuldenstand wird massiv ansteigen. Wie war die Schuldenentwicklung der letzten Jahre? Von 2012 bis 2023 (ein Zeitraum von 12 Jahren!) ist der Schuldenstand der Stadt Esslingen kontinuierlich gesunken – von über 90 Millionen auf unter 43 Millionen Euro. Seit 2024 steigt die Verschuldung der Stadt Esslingen rapide an – in 2026 rechnet die Stadt mit 69 Millionen Euro Schulden. [tatsächlich wird der Schuldenstand deutlich höher werden weil bei der Berechnung des Schuldenstands von einer zu hohen Gewerbesteuereinnahme ausgegangen wird]. In Oberbürgermeistern gesprochen: In den letzten 6 Doppelhaushalten unter Oberbürgermeister Zieger – von 2012 bis 2023 – wurde die Verschuldung konsequent abgebaut. Seit dem ersten Doppelhaushalt unter Oberbürgermeister Klopfer, geht die Verschuldung rapide nach oben

[Anmerkung: Matthias Klopfer wurde am 25.07.2021 mit 49,5% zum Oberbürgermeister Klopfer von Esslingen gewählt (18,9% der wahlberechtigten Esslinger haben Matthias Klopfer ihre Stimme gegeben). Matthias Klopfer wurde am 19.11.2021 zum Oberbürgermeister eingesetzt. Der Anstieg der Verschuldung beginnt mit dem ersten Doppelhaushalt, der unter OB Klopfer erstellt wurde: 2024/2025. Der Anstieg in 2026 und 2027 fällt wegen der Sonderschulden etwas geringer aus, als im Schaubild dargestellt. Eine aktuellere Version steht derzeit nicht zur Verfügung. Die tatsächlichen Werte können hier abgerufen werden.]

wie in Schorndorf von 32 Millionen in 2006 auf über 166 Millionen in 2020 (Stadt inkl. Eigenbetriebe) [OB Klopfer war von 2006-2020 Oberbürgermeister von Schorndorf]:

Quelle: https://afd-rems-murr.de/pressemitteilung/schorndorf-afd-fraktion-sieht-wenig-finanziellen-spielraum-fuer-leuchtturmprojekte-in-dieser-dekade/

Aber auf den Oberbürgermeister zu zeigen, das greift zu kurz! Die Verantwortung trägt der Gemeinderat in seiner Gesamtheit – der Oberbürgermeister hat nur eine Stimme! Wir Gemeinderäte müssen verantwortlich handeln und das fängt mit einer soliden Planung an!

2) Der 10 Jahresdurchschnitt wiegt uns in einer falschen Sicherheit – deswegen treffen wir heute unvernünftige Entscheidungen. Beispiele: Der Kauf des Kögels, die Renovierung des Marktplatzes und das Stadtticket – all das würde es in dieser Form nicht geben! Die Geheimgespräche zum 5. Bürgermeister wären erst gar nicht geführt worden! Das sind alles Folgen einer Realitätsverweigerung, die es nur gibt, weil wir in dieser Mega-Krise weiterhin mit einem 10 Jahresdurchschnitt der Gewerbesteuer rechnen!

3) Der 10 Jahresdurchschnitt wiegt uns in einer falschen Sicherheit – deshalb haben wir morgen keinen Handlungsspielraum mehr. Weil wir jetzt unrealistisch planen und unvernünftig entscheiden, haben wir morgen keine Handlungsoptionen mehr. Ein Beispiel: Die 50 Millionen Euro, die Esslingen aus den Sonderschulden des Bundes bekommt, sind bereits jetzt vollständig weg. Es gibt kein einziges neues Projekt für Esslingen! Die Sonderschulden des Bundes führen im Esslinger Haushalt nur zu einer etwas geringeren Neuverschuldung. Die Schulden der Stadt steigen trotzdem – nur in den nächsten 2 Jahren etwas weniger stark als erwartet. Aber was passiert in 2 Jahren? Bekommen wir nochmal 50 Millionen? Spätestens in 2 Jahren bleibt dem Gemeinderat nur noch: neue Steuern einführen, bestehende Steuern drastisch erhöhen und freiwillige Leistungen massiv abbauen. Die Sonderschulden – so unverantwortlich sie sind – wir sollten mit ihnen verantwortungsvoll umgehen. Wir sollten damit in die Zukunft investieren. Zum Beispiel: Eine Sanierungszone Innenstadt zur dauerhaften Wiederbelebung des Einzelhandels. Das könnte eine konzertierte Aktion von Stadt und Unternehmern werden! Aus den 50 Millionen könnte ein Vielfaches dieser Summe an privaten Investitionen in unsere Stadt fließen. Wenn wir damit erfolgreich wären, könnten wir mit dauerhaften Steuereinnahmen rechnen, die uns auch in Zukunft helfen, eine soziale, familienfreundliche, lebens- und liebenswerte Stadt zu sein. Aber mit diesem Doppelhaushalt ist das Geld weg. Wir kaufen 2 Jahre Zeit, danach das Elend.

Zusammenfassend: der Doppelhaushalt ist unsolide. Die Planung mit dem 10-Jahresdurchschnitt für die Gewerbesteuer wird nicht zu halten sein. Wir fordern eine Neuplanung des Haushaltes unter der Prämisse, dass die Gewerbesteuer für die Jahre 2026 und 2027 auf dem Niveau des Jahres 2025 angenommen wird. Wir fordern ein Mitspracherecht des Gemeinderats, wie die Sonderschulden verwendet  werden. Kein „Weiter so!“. Lieber heute das Richtige tun, auch wenn es schmerzhaft ist, als sich der Realität verweigern!

Zu den weiteren Anträgen, die strittig sind:
Zu 8.2.3 Antrag der CDU „Aufhebung des Zweckentfremdungsverbots“: Wir sagen: Eigentum ist ein hohes und schützenswertes Gut. Als Partei, welche sich für Freiheit und Eigenverantwortung einsetzt, stimmen wir dem Antrag der CDU zu.

Zu 8.2.14 Antrag der Grünen „Änderung des Verfahrens zur Auswahl der Schwörtagsredner:innen“: Wir sagen: Die Auswahl des Schwörtagsredners durch den Gemeinderat stärkt die demokratischen Strukturen. Als Partei, die sich für mehr direkte Demokratie einsetzt, stimmen wir dem Antrag der Grünen zu.

Zu 8.2.24 Antrag der Freie Wähler „Festival Stadt im Fluss“: Wir sagen: Die Streichung des Budgets für das Festival Stadt im Fluss wird seiner herausragenden Bedeutung für unsere Stadt nicht gerecht. Gerade im Jahr des Stadtjubiläums sollten wir an der Planung für dieses wichtige kulturelle Projekt festhalten – so wie wir sie beschlossen haben. Wir lehnen den Antrag ab.

Zu 8.2.30 Antrag der Freie Wähler & CDU „Zweijähriger Modellversuch zur Vereinsförderung“: Der Antrag wird aus der Kürzung von Mitteln für das „Festival Stadt im Fluss“ finanziert. Da wir die Kürzung der Mittel ablehnen, können wir hier nicht zustimmen.

Zu 8.2.33-Antrag FDP/Volt „Reduzierung Betreuungskosten“: Wir sagen: Ziel dieses Antrags ist die Entlastung von Familien. Als Partei, die sich für eine Willkommenskultur für Kinder einsetzt, stimmen wir dem Antrag von FDP/Volt zu.

Zu 8.2.34 Antrag FDP/Volt „Erhöhung des jährlichen Zuschusses für das Tierheim Esslingen und Bildung eines Sozialfonds“: Wir sagen: Das Tierheim Esslingen leistet eine ganz wichtige Aufgabe und braucht unsere Hilfe. Als Partei, die sich für Tier- und Umweltschutz einsetzt, stimmen wir dem Antrag von Antrag FDP/Volt zu.

Zu den Steueränderungen haben wir bereits ausgeführt, dass wir die Grundsteuererhöhung ablehnen, weil sie die Ungerechtigkeit unter den Bürgerinnen und Bürgern in unserer Stadt noch weiter erhöht. Die Bettensteuer lehnen wir ab, weil sie die Bürokratie noch weiter aufbläht. Wir wollen mehr Besucher in unserer Stadt, nicht weniger. Nicht in Ordnung war, dass die Bettensteuer bereits im Haushalt fest eingeplant war, bevor der Gemeinderat darüber beschlossen hat. [Liebe CDU, die Bettensteuer, die haben wir Ihnen zu verdanken – ohne verbindliche Vorabsprache mit Ihnen hätte die Stadtverwaltung es nicht gewagt, diese Steuer in den Haushalt einzuplanen, bevor wir darüber in den Gremien entschieden haben.]

Man hat uns vorgeworfen, dass wir nur einen Antrag gestellt haben. Wir haben mit diesem einen Antrag die Achillesferse der Haushaltsplanung adressiert. Qualität vor Quantität.
Von den 55 Anträgen der anderen Fraktionen sind 27 mit Kenntnisnahme, Ablehnung oder Unzulässigkeit, von den 28 Anträgen, denen [voraussichtlich] zugestimmt wird, sind nur 7 haushaltsrelevant – alle anderen Anträge hätten jederzeit gestellt werden können. Die Auswirkungen auf den Haushalt sind im Promillebereich.

Damit will ich nicht die Arbeit der anderen Fraktionen/Gruppen schmälern. Jeder Antrag ist ein Ausdruck des Bemühens, um eine bessere Zukunft.

Abschließend: Niemand kann diesem Doppelhaushalt guten Gewissens zustimmen. SPD/Grüne/Linke sollten nicht zustimmen, denn damit verbauen wir uns die Möglichkeit, auch in Zukunft Gelder zu verteilen. Die CDU sollte nicht zustimmen, denn so waren die Sonderschulden des Bundes nicht gedacht. Freie Wähler und FDP brauche ich nicht zu überzeugen, die wissen, wie ernst die Lage ist.
Wir lehnen den Doppelhaushalt ab. Wir warnen vor den Folgen, den dieser Haushalt mit sich bringt!
Die Welt geht mit diesem Haushalt nicht unter, aber die Zukunft wird dadurch noch härter – wir haben dann noch weniger Gestaltungsraum.

Ich wünsche allen schöne Weihnachten, gut, dass es über diese Welt hinaus, eine großartige Zukunft gibt.

[] Nicht ausgeführt

[Diese Haushaltsplanung ist nur deshalb noch genehmigungsfähig, weil wir genügend Rücklagen haben.]

Statistik zu den Haushaltsanträgen:
Kenntnisnahme: 5 (-> keine Auswirkungen auf den Haushalt)
Haushaltsrelevant: zugestimmt: 7, abgelehnt: 13
Nicht Haushaltsrelevant: zugestimmt: 21 (die allermeisten sind Berichtsanträge), abgelehnt: 8
Unzulässig: 2
Summe: 56


Übersicht über die Verschuldung der Eigenbetriebe der Stadt Esslingen

Verschuldung Klinikum Esslingen:

Quelle: https://ris.esslingen.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZVwZnOyn7M2QQqicxBVoR9UpSXyp5qP9ZXjHmZzBQPZt/Wirtschaftsplan_2026_Eigenbetrieb_Klinikum_Esslingen.pdf


Verschuldung Stadtentwässerung der Stadt Esslingen am Neckar (SEE) :

Quelle: https://ris.esslingen.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZVgH5bwkZ7ggn1JJhPxQyJVOIGZFQDBWL14hvq2pX__d/Wirtschaftsplan_SEE_2026-2027.pdf


Verschuldung Städtische Gebäude Esslingen am Neckar (SGE):

Quelle: https://ris.esslingen.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZbInCXYiCIxR_UYzvchLZScsZVEsNkP2uhRfdrE6WJhh/Wirtschaftsplan_SGE_2026-27.pdf


Verschuldung Städtische Pflegeheime Esslingen am Neckar (SPH):

Quelle: https://ris.esslingen.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZRQZuPrnDUImPE-kXHySdKnqd463-smkvxOBGG-FFa8S/Wirtschaftsplan_SPH_2026_2027_HH-Plan-Entwurf.pdf


Verschuldung Städtischer Verkehrsbetrieb Esslingen am Neckar (SVE):

Quelle: https://ris.esslingen.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZUeugPruljVQYet7AewFQkdP3BbDR7IOopOG8NLdepCx/2026_2027_Wirtschaftsplan_SVE_V99.pdf


Verschuldung Volkshochschule Esslingen am Neckar (VHS):

Quelle: https://ris.esslingen.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZZGk_XrpHzFolStlIJ2M7ElYRqJjoJGrUEaPwyZZsGu_/11.09.2025_Doppel-Wirtschaftsplan_fuer_VHS_2026_2027_Final.pdf

Summe Schulden Stadt und Eigenbetriebe 2024 (ist): 260 Millionen Euro
Summe Schulden Stadt und Eigenbetriebe 2030 (geplant): 549 Millionen Euro

Die Schulden verdoppeln sich innerhalb der nächsten 6 Jahre! Die Rechnung beinhaltet bereits die 50 Millionen Euro Sonderschulden des Bundes und: diese Rechnung ist zu optimistisch, da sie mit unrealistisch hohen Gewerbesteuereinnahmen rechnet!

Ähnliche Beiträge